by Sarah Berger
Nico (auf der Couch von Zie in Neukölln nach einem gemeinsam verbrachten Tag, Co-working, Spaziergang, in einer Eisdiele mit geheimem Klopfzeichen veganes Kokosnuss-Eis, die Sonne streichelt uns, ich habe für dieses Gefühl keine Erklärung)
Tommy langweilt sich. Unhörbar, all das Drama in Tommys Kopf. All die Stimmen, die sich dahinter verbergen, die Angst und Wut, das Geschrei. Tommys Nüstern beben. Wo ist die Außengrenze meines Körpers? Tommy schaut sich um: noch immer allein. Gegen dreiundzwanzig Uhr: Was sind deine Pläne für die Nacht? Auch Tommy ist eine Landschaft, die beim kleinsten Versuch einer näheren Betrachtung zusammenbricht. Wie ein Häufchen Elend liegt Tommy auf der Couch, ein Musterbeispiel an sozialer Distanz: Hier bin ich, dort bist du, zwischen uns ein Selfie. Alles so still hier. Tommy steht auf, läuft zum Fenster, schaut raus. Tommy kann bis auf die Brücke sehen, die sich in 200 Metern Luftlinie genau gegenüber des Fensters zur Straße hin (das einzige Fenster, das auf die Straße nach draußen zeigt) befindet. Auf der Brücke sind mehrere Menschen in beide Richtungen unterwegs, eine Person mit besonders schönem Gang, fast schwebend, verschwindet in der äußersten Begrenzung meiner Augen. Um ihr weiter folgen zu können, müsste ich den Kopf drehen, müsste ich meine Position verlassen, den Winkel meines Blickes justieren; aber Tommy steht unbeweglich am Fenster. Lediglich ein Taucheranzug kleidet den Körper. Erworben beim Nach-oben-Swipen auf Instagram, ein Schnäppchen geradezu, Tommy wollte schon immer einen Taucheranzug besitzen und mit vollgepumpter Vulva zu tell me why? posen. So ein Taucheranzug ist praktisch, seine Oberfläche etwa ist glatt, glänzend und rutschig. Es ist unmöglich, länger als ein paar Sekunden hinzuschauen oder ihn gar anzufassen. Taucheranzüge sind bekannt dafür, jegliche Wahrnehmung zu verhindern. Und die Körper im inneren eines Taucheranzugs sind furchtbar warm und glitschig. Ein Ekel überkommt Tommy: Dieses Gebilde gibt mir Schutz? Ich könnte jetzt überall sein, aber ich bin hier, immer wieder bin ich hier, genau hier, obwohl ich überall sein könnte, aber ich bin hier, genau hier, hier an genau dieser Stelle bin ich, ich bin hier, hier, wie eine weit entfernte Insel liege ich in Nebelschwaden dieser einen sanften Frage: Wie läufts bei euch? Bist du in Quarantäne oder kommst du mich mal besuchen? Tommy tippt eifrig ins Chatfenster. Heute haben wir das Gefühl, die Welt käme uns abhanden. Unsere Freund_innen machen sich Sorgen, sie hätten schon lange nichts mehr von uns gehört, unsere Instagram-Stories zeigen seit Tagen nur noch leere Wände in Sepia. Und unsere Freund_innen sind sich nie ganz sicher, ob unsere Traurigkeit eine Performance ist oder ob wir tatsächlich traurig sind; das sei nicht mehr so ohne weiteres von einander zu unterscheiden, behaupten sie, also um den Fake von der Realität unterscheiden zu können, müsste wirklich ganz genau hingeschaut werden, und die 15 Sekunden einer Instagram-Story reichen da einfach nicht aus. Tommy steht enttäuscht vor dem Badezimmerspiegel: War all die Mühe umsonst? Was ist den bloß los mit dir, fällt dir auch nichts mehr Neues ein? Die meisten Menschen sind einfach besser als du, die haben verzweigtere Gedankengänge und glattere Körper, die strengt es gar nicht an, Tag für Tag originell zu sein oder schön, die sind es einfach, jeden Tag, denen wurde das Produkthaftige in die Wiege gelegt, die lassen sich aushalten auf ihren Amazonwishlists und Paypalme Konten. Und Tommy spürt es endlich: die Nähe. Die Nähe zu all den Menschen, all den Fans und Bewunder_innen, die fleißig auf Gefällt mir klicken, Tommy fühlt sich geliebt oder ausgehöhlt, aber du hast sie doch auch gespürt, die Nähe, nicht wahr? Du kannst es auch spüren: Dich und mich! Es hat geklickt zwischen uns, so richtig, das bilde ich mich nicht nur ein, das ist echt, oder Tommy, du spürst es doch auch? Tommy spürt alles, und jede Person kann Tommy spüren, manchmal besteht Tommy nur noch aus den Gefühlen der anderen, und wir haben noch einen richtig langen Weg vor uns, wenn wir all die gemeinsamen nächsten Jahre tatsächlich füreinander geschaffen sind, ich sehe sie schon vor mir, all die Couple-Goals; und wenn da Nähe war, dann war es immer zu nah, hat Tommy in einem Buch gelesen. Tommy steht vor dem Badezimmerspiegel: sich abschminkend. Das läuft so routiniert ab, dass Tommy davon überzeugt ist, ein Computerprogramm zu sein. Eine Spielfigur in einem Second Life Game. Kein echter Mensch war in der Lage, immer und immer wieder das gleiche zu tun, so routiniert jeden Tag aufstehen, arbeiten gehen, Kinder verprügeln, Tommy sieht sich in einer Reality Show doch eher im Publikum sitzen.
Düna (mit Laptop am Küchentisch in Friedrichshain, beim Antrag auf Nothilfe auf Warteplatz 178544 gelandet, endlos lang ist die Reihe an Bittsteller_innen, als hätten wir uns ausreichend für den Ernstfall vereinzelt, ich habe Lust auf Pastel de Nata)
ich glaube nicht an unsere zusammenkunft, wie seltsam es ist, du in meinem schlafzimmer, schreibst in deine notizen (?), warum brauche ich sex
gibt mir sex das gefühl, geliebt zu werden
warum gibt mir sex das gefühl, geliebt zu werden
sex gibt mir das gefühl, mich aufzulösen
auflösung geht in musik & sex & ich will mich nicht denken
ich will wenigstens die eine oder andere sex-szene schreiben
ich habe keine scham vor mir
keine scham vor dir
die scham verlieren, dieses unendlich dicke gebäude, wir sprechen von mauern, von
ob die scham dieses gebäude ist
berühre meine stimme, can i have some auflösung?
als würden wir gegenseitig in unseren körpern aufgehen
gib mir musik
Zie (auf dem Teppich mit Laptop auf dem Bauch in Neukölln, atemloser Tag voller Kontakt, abgetragen, und bei der Polizeikontrolle habe ich einfach behauptet, wir seien ein Pärchen, damit sie uns schnell durchlassen, ich bin so müde)
FUCK ALL steht nicht auf meinem Grabstein. Ich weiß nicht, was auf meinem Grabstein stehen wird, ich bin ja noch nicht tot, und wenn ich sterbe, gibt es so etwas wie Grabsteine gar nicht mehr, nicht mal mehr so etwas wie Trauern, der Tot ist etwas Normales geworden, Alltägliches, er widerfährt uns einfach als Notification auf unseren Smartphone-Displays. Die Renaissance der morbiden Häuslichkeit hatte ja schon viel früher begonnen. Dabei hatte ich mir gerade erst den „Thanks God for Abortion“ Sticker auf den Mac geklebt, genau auf die Mitte, so dass ich leise demonstrieren konnte beim Schreiben im Café, bevor sie alle Tische für Laptops gesperrt haben, Unterhaltet euch doch mal wieder oder lest ein Buch. NO LAPTOP wird auf meinem Grabstein stehen. Und ich muss so sehr lachen über den Tweet von Düna: irgendwo in berlin eine genervte wg weil alle seit zehn stunden in der küche sitzen und kaffee trinken müssen damit jonas in café atmosphäre an seinem roman weiterarbeiten kann. Ich dachte: Feel you, Jonas. Aber das habe ich nicht geschrieben. Ich habe gar nichts mehr geschrieben, seit ich aufgehört habe, mich vollzuballern, & ich habe noch nicht mal ganz verstanden, dass es vorbei ist, also wirklich vorbei, ich werde nie wieder high sein, ich werde nie wieder durch meinen ganzen Körper fließen, nie wieder so in die Tiefe gehen. EMPTY könnte auf meinem Grabstein stehen. Während ich in den Laptop tippe, weil Nico wieder in sich versunken ist. Wie oft am Tag kann ein Mensch derart verschwinden. Ich betrachte dich auch als Untersuchungsobjekt: Ich frage mich etwa, ob du reich geerbt hast, oder wie du sonst so dein Geld verdienst, du hast nicht genug Talent für dieses Leben. Du bist nicht berühmt oder so, eher eine Randerscheinung. Selbst ich vergesse immer wieder, wer du bist und schrecke dann auf, wenn du wieder in meiner Wohnung sitzt, auf der Couch liegst, und dann erinnere ich mich an dich, ach ja, das ist Nico, wir sind in einer Beziehung. Du hast mich vom Krankenhaus abgeholt und meine Mutter von mir ferngehalten. Du schickst mir zur Aufmunterung Fat Rabbit Sticker im endless Facebook-Chat seit zwei, drei Jahren. Manchmal glaube ich das einfach nicht. Ich glaube nicht, dass das wahr ist. Ich muss dich ganz genau betrachten, ob du es bist oder doch nur eine Vorstellung von mir. PERCEPTION hätte auf meinem Grabstein stehen können. Es wäre ja auch zu lustig, wenn ich schon vor einigen Jahren total stoned in der Dusche umgekippt und mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen wäre. Ich war augenblicklich tot.
Th (am Computer in Prenzlauer Berg, gerade noch The JT LeRoy Story intensiv einstudiert, bereits im Bett kam mir noch ein Gedanke, und ich stürmte zurück an den Schreibtisch, was gerade mal zwei Meter sind)
Ich hör noch das letzte Nouvelle Vague Lied aus einem der hundert offenen Tabs zu Ende und geh dann schlafen.
Noa (auf dem Bett liegend in Kreuzberg, gelangweilt von Herkunft, meldet sich seit einigen Tagen nicht, heute ist wie jeder andere Tag, ich fühle da schon lange keinen Unterschied mehr)
Gestern Nacht habe ich von Tommy geträumt. Wir lagen eng umschlungen im Bett. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal so eng umschlungen mit einer anderen Person im Bett lag. Ich kann mich überhaupt an wenig erinnern, nur eben, dass wir eng umschlungen im Bett lagen, Tommy und ich. Ich spürte diese dünne Schweißschicht, die sich zwischen zwei nackten Hautflächen bildet, die nah beinander liegen, sich aber nicht ganz berühren. So lagen wir da, und ich erinnere mich an den warmen Schweiß und deinen Atem in meinem Nacken. Zu diesem Zeitpunkt geht er ganz schwer, ja fast atemlos hängst du mir am Hals. Du schnappst nach Luft, Ich habe dich gerade noch heftig durchgefickt, jetzt beruhig dich, Tommy, ich pass auf dich auf, ich weiß, ich habe mich ein paar mal nicht gemeldet, ich habe es einfach vergessen, ich weiß einfach nicht, ob es Liebe ist, wenn du nicht jeden Tag an mich denkst, dich mit mir denkst, ich weiß nicht, ob das Liebe ist. Und dann schreibe ich einfach gar nichts mehr: anyway I'm sorry I disappeared and didn't just say all that. have a bit of a burrowing tendency. remember how long I've been talking about moving? well I still haven't done it. crazy that we've been in isolation for so long already, i am not doing it very well at all. felt overwhelming so I sort of shut off. hey...sorry you're totally right, was really shitty of me. I've been sort of paralyzed here, stuck inside, trying to figure out if I'm staying or going. Ich habe geträumt, wir liegen so im Bett, als wäre es das normalste auf der Welt, als wären wir ein Paar, als hätten wir eine Verbindung, als wären wir miteinander verbunden, als hätten wir unser tiefstes Innerstes losgelassen, als wären unsere tiefsten Innersten ineinander geschnalzt, als hätten wir uns lange und ausführlich ineinander eingeschrieben, als hätten wir schon ein paar Worte miteinander gesprochen, gelacht, als hätten wir uns gegenseitig die Screenshots im Smartphone gezeigt, uns gegenseitig dabei ertappt, Chatverläufe mit der_dem jeweils anderen gescreenshottet zu haben. Und ich behaupte, keine Oberfläche mehr zu haben, löchrig zu sein, durchlöchert zu sein von dir. Aufgeriebene Narben zieren unsere Leiber, eitrig liegen wir in meinem Bett. Von all deiner Schönheit, Tommy, ist gar nichts mehr übrig geblieben, du liegst da, ein fetter Klumpen menschliche Masse, alles, wirklich alles an dir stößt mich ab. Wenn ich dich ansehe, Tommy, sehe ich nur Löcher, Löcher, die ich dir reingebohrt habe, verzeih mir, ich konnte dir nicht widerstehen, ich kann nicht wegschauen, wie du so ganz in dich eingefallen daliegst, als wäre dir die Luft ausgegangen, und ich starre dich an, ich sehe mich satt an deiner Sehnsucht, deinen Zweifeln, und gehe selbst verloren in meinem Stieren und dem Aufsaugen dieser deiner letzten Reste – mit einem Mal zerreißt es dich in mitten meines Bettes, quasi in zwei Hälften geteilt, ein riesengroßes Loch habe ich in dir aufgerissen, und ich habe mich in dir verschlungen, einmal umgestülpt hast du dich. Du liegst mit mir im Bett, Tommy und ich, ganz nah liegen wir, als wäre es das normalste der Welt, als würden wir schon immer hier liegen, eng umschlungen wie Freund_innen oder Geliebte.
#1 JANUARy 2021
Photos: Sarah Berger
#1 JANUARy 2021
by Sarah Berger
Nico (auf der Couch von Zie in Neukölln nach einem gemeinsam verbrachten Tag, Co-working, Spaziergang, in einer Eisdiele mit geheimem Klopfzeichen veganes Kokosnuss-Eis, die Sonne streichelt uns, ich habe für dieses Gefühl keine Erklärung)
Tommy langweilt sich. Unhörbar, all das Drama in Tommys Kopf. All die Stimmen, die sich dahinter verbergen, die Angst und Wut, das Geschrei. Tommys Nüstern beben. Wo ist die Außengrenze meines Körpers? Tommy schaut sich um: noch immer allein. Gegen dreiundzwanzig Uhr: Was sind deine Pläne für die Nacht? Auch Tommy ist eine Landschaft, die beim kleinsten Versuch einer näheren Betrachtung zusammenbricht. Wie ein Häufchen Elend liegt Tommy auf der Couch, ein Musterbeispiel an sozialer Distanz: Hier bin ich, dort bist du, zwischen uns ein Selfie. Alles so still hier. Tommy steht auf, läuft zum Fenster, schaut raus. Tommy kann bis auf die Brücke sehen, die sich in 200 Metern Luftlinie genau gegenüber des Fensters zur Straße hin (das einzige Fenster, das auf die Straße nach draußen zeigt) befindet. Auf der Brücke sind mehrere Menschen in beide Richtungen unterwegs, eine Person mit besonders schönem Gang, fast schwebend, verschwindet in der äußersten Begrenzung meiner Augen. Um ihr weiter folgen zu können, müsste ich den Kopf drehen, müsste ich meine Position verlassen, den Winkel meines Blickes justieren; aber Tommy steht unbeweglich am Fenster. Lediglich ein Taucheranzug kleidet den Körper. Erworben beim Nach-oben-Swipen auf Instagram, ein Schnäppchen geradezu, Tommy wollte schon immer einen Taucheranzug besitzen und mit vollgepumpter Vulva zu tell me why? posen. So ein Taucheranzug ist praktisch, seine Oberfläche etwa ist glatt, glänzend und rutschig. Es ist unmöglich, länger als ein paar Sekunden hinzuschauen oder ihn gar anzufassen. Taucheranzüge sind bekannt dafür, jegliche Wahrnehmung zu verhindern. Und die Körper im inneren eines Taucheranzugs sind furchtbar warm und glitschig. Ein Ekel überkommt Tommy: Dieses Gebilde gibt mir Schutz? Ich könnte jetzt überall sein, aber ich bin hier, immer wieder bin ich hier, genau hier, obwohl ich überall sein könnte, aber ich bin hier, genau hier, hier an genau dieser Stelle bin ich, ich bin hier, hier, wie eine weit entfernte Insel liege ich in Nebelschwaden dieser einen sanften Frage: Wie läufts bei euch? Bist du in Quarantäne oder kommst du mich mal besuchen? Tommy tippt eifrig ins Chatfenster. Heute haben wir das Gefühl, die Welt käme uns abhanden. Unsere Freund_innen machen sich Sorgen, sie hätten schon lange nichts mehr von uns gehört, unsere Instagram-Stories zeigen seit Tagen nur noch leere Wände in Sepia. Und unsere Freund_innen sind sich nie ganz sicher, ob unsere Traurigkeit eine Performance ist oder ob wir tatsächlich traurig sind; das sei nicht mehr so ohne weiteres von einander zu unterscheiden, behaupten sie, also um den Fake von der Realität unterscheiden zu können, müsste wirklich ganz genau hingeschaut werden, und die 15 Sekunden einer Instagram-Story reichen da einfach nicht aus. Tommy steht enttäuscht vor dem Badezimmerspiegel: War all die Mühe umsonst? Was ist den bloß los mit dir, fällt dir auch nichts mehr Neues ein? Die meisten Menschen sind einfach besser als du, die haben verzweigtere Gedankengänge und glattere Körper, die strengt es gar nicht an, Tag für Tag originell zu sein oder schön, die sind es einfach, jeden Tag, denen wurde das Produkthaftige in die Wiege gelegt, die lassen sich aushalten auf ihren Amazonwishlists und Paypalme Konten. Und Tommy spürt es endlich: die Nähe. Die Nähe zu all den Menschen, all den Fans und Bewunder_innen, die fleißig auf Gefällt mir klicken, Tommy fühlt sich geliebt oder ausgehöhlt, aber du hast sie doch auch gespürt, die Nähe, nicht wahr? Du kannst es auch spüren: Dich und mich! Es hat geklickt zwischen uns, so richtig, das bilde ich mich nicht nur ein, das ist echt, oder Tommy, du spürst es doch auch? Tommy spürt alles, und jede Person kann Tommy spüren, manchmal besteht Tommy nur noch aus den Gefühlen der anderen, und wir haben noch einen richtig langen Weg vor uns, wenn wir all die gemeinsamen nächsten Jahre tatsächlich füreinander geschaffen sind, ich sehe sie schon vor mir, all die Couple-Goals; und wenn da Nähe war, dann war es immer zu nah, hat Tommy in einem Buch gelesen. Tommy steht vor dem Badezimmerspiegel: sich abschminkend. Das läuft so routiniert ab, dass Tommy davon überzeugt ist, ein Computerprogramm zu sein. Eine Spielfigur in einem Second Life Game. Kein echter Mensch war in der Lage, immer und immer wieder das gleiche zu tun, so routiniert jeden Tag aufstehen, arbeiten gehen, Kinder verprügeln, Tommy sieht sich in einer Reality Show doch eher im Publikum sitzen.
Düna (mit Laptop am Küchentisch in Friedrichshain, beim Antrag auf Nothilfe auf Warteplatz 178544 gelandet, endlos lang ist die Reihe an Bittsteller_innen, als hätten wir uns ausreichend für den Ernstfall vereinzelt, ich habe Lust auf Pastel de Nata)
ich glaube nicht an unsere zusammenkunft, wie seltsam es ist, du in meinem schlafzimmer, schreibst in deine notizen (?), warum brauche ich sex
gibt mir sex das gefühl, geliebt zu werden
warum gibt mir sex das gefühl, geliebt zu werden
sex gibt mir das gefühl, mich aufzulösen
auflösung geht in musik & sex & ich will mich nicht denken
ich will wenigstens die eine oder andere sex-szene schreiben
ich habe keine scham vor mir
keine scham vor dir
die scham verlieren, dieses unendlich dicke gebäude, wir sprechen von mauern, von
ob die scham dieses gebäude ist
berühre meine stimme, can i have some auflösung?
als würden wir gegenseitig in unseren körpern aufgehen
gib mir musik
Zie (auf dem Teppich mit Laptop auf dem Bauch in Neukölln, atemloser Tag voller Kontakt, abgetragen, und bei der Polizeikontrolle habe ich einfach behauptet, wir seien ein Pärchen, damit sie uns schnell durchlassen, ich bin so müde)
FUCK ALL steht nicht auf meinem Grabstein. Ich weiß nicht, was auf meinem Grabstein stehen wird, ich bin ja noch nicht tot, und wenn ich sterbe, gibt es so etwas wie Grabsteine gar nicht mehr, nicht mal mehr so etwas wie Trauern, der Tot ist etwas Normales geworden, Alltägliches, er widerfährt uns einfach als Notification auf unseren Smartphone-Displays. Die Renaissance der morbiden Häuslichkeit hatte ja schon viel früher begonnen. Dabei hatte ich mir gerade erst den „Thanks God for Abortion“ Sticker auf den Mac geklebt, genau auf die Mitte, so dass ich leise demonstrieren konnte beim Schreiben im Café, bevor sie alle Tische für Laptops gesperrt haben, Unterhaltet euch doch mal wieder oder lest ein Buch. NO LAPTOP wird auf meinem Grabstein stehen. Und ich muss so sehr lachen über den Tweet von Düna: irgendwo in berlin eine genervte wg weil alle seit zehn stunden in der küche sitzen und kaffee trinken müssen damit jonas in café atmosphäre an seinem roman weiterarbeiten kann. Ich dachte: Feel you, Jonas. Aber das habe ich nicht geschrieben. Ich habe gar nichts mehr geschrieben, seit ich aufgehört habe, mich vollzuballern, & ich habe noch nicht mal ganz verstanden, dass es vorbei ist, also wirklich vorbei, ich werde nie wieder high sein, ich werde nie wieder durch meinen ganzen Körper fließen, nie wieder so in die Tiefe gehen. EMPTY könnte auf meinem Grabstein stehen. Während ich in den Laptop tippe, weil Nico wieder in sich versunken ist. Wie oft am Tag kann ein Mensch derart verschwinden. Ich betrachte dich auch als Untersuchungsobjekt: Ich frage mich etwa, ob du reich geerbt hast, oder wie du sonst so dein Geld verdienst, du hast nicht genug Talent für dieses Leben. Du bist nicht berühmt oder so, eher eine Randerscheinung. Selbst ich vergesse immer wieder, wer du bist und schrecke dann auf, wenn du wieder in meiner Wohnung sitzt, auf der Couch liegst, und dann erinnere ich mich an dich, ach ja, das ist Nico, wir sind in einer Beziehung. Du hast mich vom Krankenhaus abgeholt und meine Mutter von mir ferngehalten. Du schickst mir zur Aufmunterung Fat Rabbit Sticker im endless Facebook-Chat seit zwei, drei Jahren. Manchmal glaube ich das einfach nicht. Ich glaube nicht, dass das wahr ist. Ich muss dich ganz genau betrachten, ob du es bist oder doch nur eine Vorstellung von mir. PERCEPTION hätte auf meinem Grabstein stehen können. Es wäre ja auch zu lustig, wenn ich schon vor einigen Jahren total stoned in der Dusche umgekippt und mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen wäre. Ich war augenblicklich tot.
Th (am Computer in Prenzlauer Berg, gerade noch The JT LeRoy Story intensiv einstudiert, bereits im Bett kam mir noch ein Gedanke, und ich stürmte zurück an den Schreibtisch, was gerade mal zwei Meter sind)
Ich hör noch das letzte Nouvelle Vague Lied aus einem der hundert offenen Tabs zu Ende und geh dann schlafen.
Noa (auf dem Bett liegend in Kreuzberg, gelangweilt von Herkunft, meldet sich seit einigen Tagen nicht, heute ist wie jeder andere Tag, ich fühle da schon lange keinen Unterschied mehr)
Gestern Nacht habe ich von Tommy geträumt. Wir lagen eng umschlungen im Bett. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal so eng umschlungen mit einer anderen Person im Bett lag. Ich kann mich überhaupt an wenig erinnern, nur eben, dass wir eng umschlungen im Bett lagen, Tommy und ich. Ich spürte diese dünne Schweißschicht, die sich zwischen zwei nackten Hautflächen bildet, die nah beinander liegen, sich aber nicht ganz berühren. So lagen wir da, und ich erinnere mich an den warmen Schweiß und deinen Atem in meinem Nacken. Zu diesem Zeitpunkt geht er ganz schwer, ja fast atemlos hängst du mir am Hals. Du schnappst nach Luft, Ich habe dich gerade noch heftig durchgefickt, jetzt beruhig dich, Tommy, ich pass auf dich auf, ich weiß, ich habe mich ein paar mal nicht gemeldet, ich habe es einfach vergessen, ich weiß einfach nicht, ob es Liebe ist, wenn du nicht jeden Tag an mich denkst, dich mit mir denkst, ich weiß nicht, ob das Liebe ist. Und dann schreibe ich einfach gar nichts mehr: anyway I'm sorry I disappeared and didn't just say all that. have a bit of a burrowing tendency. remember how long I've been talking about moving? well I still haven't done it. crazy that we've been in isolation for so long already, i am not doing it very well at all. felt overwhelming so I sort of shut off. hey...sorry you're totally right, was really shitty of me. I've been sort of paralyzed here, stuck inside, trying to figure out if I'm staying or going. Ich habe geträumt, wir liegen so im Bett, als wäre es das normalste auf der Welt, als wären wir ein Paar, als hätten wir eine Verbindung, als wären wir miteinander verbunden, als hätten wir unser tiefstes Innerstes losgelassen, als wären unsere tiefsten Innersten ineinander geschnalzt, als hätten wir uns lange und ausführlich ineinander eingeschrieben, als hätten wir schon ein paar Worte miteinander gesprochen, gelacht, als hätten wir uns gegenseitig die Screenshots im Smartphone gezeigt, uns gegenseitig dabei ertappt, Chatverläufe mit der_dem jeweils anderen gescreenshottet zu haben. Und ich behaupte, keine Oberfläche mehr zu haben, löchrig zu sein, durchlöchert zu sein von dir. Aufgeriebene Narben zieren unsere Leiber, eitrig liegen wir in meinem Bett. Von all deiner Schönheit, Tommy, ist gar nichts mehr übrig geblieben, du liegst da, ein fetter Klumpen menschliche Masse, alles, wirklich alles an dir stößt mich ab. Wenn ich dich ansehe, Tommy, sehe ich nur Löcher, Löcher, die ich dir reingebohrt habe, verzeih mir, ich konnte dir nicht widerstehen, ich kann nicht wegschauen, wie du so ganz in dich eingefallen daliegst, als wäre dir die Luft ausgegangen, und ich starre dich an, ich sehe mich satt an deiner Sehnsucht, deinen Zweifeln, und gehe selbst verloren in meinem Stieren und dem Aufsaugen dieser deiner letzten Reste – mit einem Mal zerreißt es dich in mitten meines Bettes, quasi in zwei Hälften geteilt, ein riesengroßes Loch habe ich in dir aufgerissen, und ich habe mich in dir verschlungen, einmal umgestülpt hast du dich. Du liegst mit mir im Bett, Tommy und ich, ganz nah liegen wir, als wäre es das normalste der Welt, als würden wir schon immer hier liegen, eng umschlungen wie Freund_innen oder Geliebte.
Photos: Sarah Berger